© Mellissa Silverstein / Women & Hollywood
Öffentlichkeitswirksam haben sich 82 Frauen am roten Teppich vor dem Palais des Festivals Cannes 2018 versammelt, um ein deutliches Zeichen gegen die Ungleichheit der Geschlechterverhältnisse in der Filmbranche zu setzen. Die 82 repräsentierten jene 82 Regisseurinnen, die seit Anbeginn des Festivals mit ihren Filmen im Wettbewerb vertreten waren. Ihnen gegenüber stehen 1688 Männer, die im gleichen Zeitraum ihre Werke vorstellten. Insgesamt 71 Männer erhielten bisher die Goldene Palme, aber nur zwei Frauen: Jane Campion (Das Piano, 1993) und Agnes Varda (Ehrenpalme für ihr Lebenswerk, 2015).
Melissa Silverstein, Gründerin und Herausgeberin von Women and Hollywood und künstlerische Leiterin und Mitgründerin des Athena Film Festival, war eine der 82 Frauen und berichtet auf ihrer Webseite darüber.
Organisiert wurde diese Demonstration von Time’s Up und 5050×2020, eine Initiative des französischen Netzwerks Le deuxième regard. Gemeinsam mit dem CNC lud 5050×2020 auch zu einer Paneldiskussion, bei der sich viele neue FilmFrauenNetzwerke aus dem audiovisuellen Sektor präsentierten, ihre Forderungen formulierten und ihre Erfahrungen einbrachten. Neue Initiativen, u.a. Dissenso Comune (Italien), Greek Women’s Wave and CIMA Cineastas (Spanien), tauschten sich mit Mitstreiterinnen aus, die sich schon lange für die Chancengleichheit von Frauen einsetzen, wie Kate Kinninmont von Women in Film and TV (GB).
Auf die Diskussion folgte die Vorstellung einer neuen Charta. Thierry Frémaux, Charles Tesson and Paolo Moretti waren die ersten Unterzeichner. Die Charta ist eine Selbstverpflichtung, der sich noch viele weitere Festivals anschließen sollen, und fordert: Statistiken über eingereichte Filme von Männern und Frauen, Transparenz darüber, wer Filme einreicht und langfristig Parität in allen Entscheidungsgremien.
Bei den zahlreichen Veranstaltungen und Diskussionen zu Gender Equality hat sich der Ton merklich verschärft, die Geduld vieler Frauen scheint enden wollend. Deutlich wurde das etwa bei einem Auftritt der Schwedischen Kultur- und Demokratieministerin Alice Bah Kuhnke im Rahmen der Veranstaltung Take Two: Next moves for #metoo, bei der sie – von ihrem Apell mitgerissen sprang sie von ihrem Sitzplatz auf – dafür plädierte, endlich Veränderungen herbeizuführen, damit „wir nicht in 5 oder 10 Jahren wieder die selben Forderungen stellen müssen“. Wenn nicht jetzt – wann?
Die ganze Veranstaltung kann man hier Nachschauen.
Vor einer Paneldiskussion, an der u.a. die Regisseurin Aida Begić teilnahm, hielt Stacey L. Smith, Gründerin und Leiterin der Annenberg Inclusion Initiative (University of Southern California) eine faktenreiche Keynote – der Inclusion rider war ihre Idee!
Eine Präsentation ihrer Studien kann man sich auch hier ansehen.
Es herrschte in Cannes allgemein das Gefühl, dass sich seit #metoo ein Fenster geöffnet hat, das nachhaltige Veränderungen nun möglich scheinen, sogar von einer neuen Zeit, einer neuen sozialen Bewegung war die Rede.
Um die Ungleichheiten in der Filmbranche beseitigen zu können, muss sich die gesamte Gesellschaft wandeln. Und dafür braucht es eine größere Diversität in den Geschichten, die erzählt werden.
Forderungen und Analysen gab es auch beim Panel „Wonder Women. Getting out of the corset“, gehostet vom european women’s audiovisual network EWA und dem Pavillon der israelischen Filmbranche.
Vertreterinnen von FrauenFilmNetzwerken, Förderanstalten und Produktionsfirmen weltweit erzählten von ihren Arbeitsschwerpunkten und Erfolgen. Aus Österreich berichtete Barbara Fränzen, Leiterin der Filmabteilung im BKA, vom Film Gender Report. 50/50 wäre auch hierzulande das Ziel, der Zusatz „by 2020“ fehlt allerdings noch, die Politik muss dazu noch Antworten geben. Iris Zappe-Heller, Leiterin des Bereichs gender*in*equality beim Österreichischen Filminstitut, sprach über ihre Arbeit als Vorsitzende der Eurimages Gender Equality working Group. Als die Eurimages Gender-Gruppe 2012 zu arbeiten begann, waren nur 17% der Filme von Regisseurinnen.
Dass das Verhältnis von Männern und Frauen im Regiesessel noch lange nicht ausgeglichen ist, ist eine Tatsache, die alle Länder betrifft. Einzig und allein Schweden konnte in den Jahren 2015-17 einen Gleichstand von Regisseurinnen und Regisseuren erreichen. Doch die Vertreterinnen des Schwedischen Filminstituts berichteten, dass nach diesem erfreulichen Ergebnis etwas Entspannung eingetreten ist, mit der Folge, dass das Verhältnis wieder zu kippen begann, zu Ungunsten der Frauen. Die Herausforderung ist also, permanent dranzubleiben. Schweden war das erste Land, das 50/50 by 2020 ausgerufen hat, mittlerweile sind andere Länder gefolgt.
Um 50/50 zu erreichen, setzen die Förderstellen vieler Länder auf Anreizmodelle, um die Einreichungen von Projekten von Frauen zu erhöhen. In Österreich haben das ÖFI und der FFW solche Incentives eingeführt.
Von manchen Seiten kam auch die Forderung, dass es nicht nur Quoten braucht, sondern übergangsmäßig auch positive Diskriminierung im Sinne der Chancengleichheit.
Weitere Forderungen: regelmäßige Erstellung von gegenderten Statistiken, Parität bei Programmkommissionen und –jurien, mehr Frauen in Chefpositionen: „If you hire women, they will hire more women!“
Schließlich müsse die „leaky pipeline“ auf allen Ebenen repariert werden. Nach wie vor schließen auf Filmschulen in etwa gleich viele Männer wie Frauen ihre Ausbildung ab, später machen aber nach wie vor nur ein Teil dieser Frauen in der Filmbranche Karriere.
Veränderung wird es aber nur geben, wenn Geld involviert ist: „Money will make the difference.“ Die Branche muss also aktiver werden und nach Frauen suchen. Ist Geld durch Anreizmodelle in Aussicht gestellt, erhöht das die Chancen für Regisseurinnen, Drehbuchautorinnen und Frauen andere Sparten.
Anna Serner vom Schwedischen Filminstitut kündigte sogar an, 2020 alle Fördergelder an Frauen zu geben, wenn die Filmbranche bei der Gleichstellung nicht mitmache.
Melissa Silverstein hostete gemeinsam mit dem Irischen Filmboard ein Vernetzungstreffen. Am Panel saßen: Iris Zappe-Heller, Lizzie Francke vom BFI Film Fund, Annabelle Sheehan von der New Zealand Film Commission und Lwazi Manzi aus Südafrika in mehrfacher Funktion, u.a. als Co-Vorsitzende der Independent Producers Organisation.
Tenor auch hier: Frauen sind zu höflich und es existieren zahllose Strategien, sie auszuschließen. Die Hälfte der Bevölkerung kann jedoch nicht auf Dauer ignoriert werden, also wurde einmal mehr der Ruf nach Standards und Richtlinien laut, nach Bewusstseinsbildung und Quoten, nach anderen Bildern und Geschichten.
Übrigens wurde der Film Sweetie von Jane Campion 1989 in Cannes ausgebuht, 1993 erhielt Campion für Das Piano die Goldene Palme.
Nach dem Round Table haben sich einige Frauennetzwerke zu Wort gemeldet und neue Projekte vorgestellt. Ebba Sinzinger und Andrea Pollach waren für FC Gloria dabei und kündigten den Relaunch des ProPro Produzentinnenprogramms an, das 2019 seine erste internationale Ausgabe haben wird.
In ihrem Abschlussbericht schreibt Melissa Silverstein: „Cannes’ 2018 Closing Ceremony was the perfect microcosm of the festival itself: it embraced some much-needed social change and somehow was still the usual old boys’ club. The fest’s highest honor, the Palme D’Or, did not, as many suggested it should, go to Nadine Labaki’s “Capernaum.” Instead, the honor went to “Shoplifters,” from Hirokazu Kore-Eda. Despite the inspiring, women-driven protests and the historic gender equality pledge at Cannes this year, Jane Campion is still the only woman director to win the Palme D’Or, and it’s been 25 years since that victory.“